Aktiv gegen die Klimagerechtigkeitsbewegung: Das neue Versammlungsgesetz in NRW

Die Klimagerechtigkeitsbewegung, die sich für ein Aufhalten des Klimawandels und eine gerechte Verteilung von Ressourcen einsetzt, ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Spätestens seit der Räumung des Hambacher Forsts im Jahr 2018 steht die NRW-Landesregierung und speziell Innenminister Reul der Bewegung offen feindlich gegenüber. Der Entwurf des neuen Versammlungsgesetzes zeigt wie schon die Verschärfung des Polizeigesetzes im Jahr 2018 (inkl. der „Lex Hambi„), dass die Landesregierung die Niederlage im Hambacher Forst nicht verwunden hat und am liebsten die Klimagerechtigkeitsbewegung komplett zerschlagen würde. Das wird an zahlreichen Stellen in der Gesetzesbegründung deutlich und gilt ähnlich für antifaschistischen Widerstand, auf den an anderer Stelle eingegangen wird.

Wo darf demonstriert werden?

Dass die Demonstrationen der Klimagerechtigkeitsbewegung der Landesregierung ein Dorn im Auge sind, zeigt sich, wenn im Gesetzesentwurf begründet wird, wo künftig nicht mehr demonstriert werden soll: „So ist auf Autobahnen und Bahngleisen kein kommunikativer Verkehr eröffnet. Deswegen dürfen dort in der Praxis der Versammlungsbehörden keine Versammlungen erlaubt werden, auch dann nicht, wenn in der Weise ein vorgeblicher ‚inhaltlicher‘ Bezug hergestellt werden soll, dass von Autogegnern auf einer Autobahn gegen Umweltschäden durch den Kraftverkehr demonstriert werden soll. Demonstrationen gegen den Kraftverkehr, auch den auf der Autobahn, können auf insoweit geeigneten Straßen des örtlichen Verkehrs durchgeführt werden. Die Inanspruchnahme der Autobahn für ein solches partikulares Interesse wäre ein übermäßiger Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit und in die negative Versammlungsfreiheit Nichtbetroffener und in die sehr gefahrengeneigte, hochkomplexe und anfällige staatliche Verkehrsinfrastruktur, welche Bestandteil der öffentlichen Sicherheit ist.“ Weiter heißt es: „Unzulässig können daher Versammlungsorte mit ihnen innewohnendem erheblichem Gefährdungspotential wie Grubenrandstraßen sein, wie etwa im Falle des Tagebaus ‚Garzweiler II'“ (beide Zitate aus der Gesetzesbegründung zu § 13 Abs. 1).

Die Zitate beziehen sich auf einen Absatz, der Beschränkungen für Versammlungen erlaubt, um unmittelbare Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Dieser Absatz wurde zum größten Teil aus dem Bundesversammlungsgesetz übernommen, aber ergänzt um die Regelung, dass „insbesondere Verfügungen zum Ort und zum Verlauf der Veranstaltung“ in Betracht kommen – und damit eine faktische Umdefinition der ganzen geplanten Versammlung, für die laut geltender Verfassungsrechtsprechung die freie Ortswahl gilt. Um örtliche Verlegungen muss in der Versammlungsauflagen-Praxis dennoch immer wieder gestritten werden.

Mit dieser langen, ausführlichen Begründung zeigt die Landesregierung, gegen wen sich das Gesetz und die künftige Auslegung vorrangig richten soll: Die erstarkende Bewegung für eine Mobilitätswende. Ziel ist die Aufrechterhaltung der aktuellen Situation des Neu- und Ausbaus von Autobahnen voller Auto- und LKW-Verkehr, welcher die Luft verschmutzt, Verkehrstote verursacht und den Klimawandel anheizt. Demonstrationen sollen nicht stören – und schon gar nicht den motorisierten Individualverkehr, der aktuell immer mehr in den Fokus von Klimagerechtigkeitsgruppen rückt. Durch den Gesetzesentwurf werden diesbezüglich wegweisende Entscheidungen der Verwaltungsrechtsprechung der vergangenen Jahre zu Versammlungen und Veranstaltungen explizit auf Autobahnen aufgehoben. So führte bspw. Fridays for Future Duisburg eine Fahrraddemo auf einem Teilstück der A 40 durch. Zu erinnern ist auch daran, dass im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 die A 40 auf einer Strecke von rund 60 km für ein „Picknick als kollektives Happening“ gesperrt worden ist.

Feindbilder: Ende Gelände und Co.

Das Aktionsbündnis Ende Gelände wird zwar kein einziges Mal explizit genannt, dennoch wird aus vielen Formulierungen in der Gesetzesbegründung klar, dass die Aktionsformen von Ende Gelände gemeint sind und als Negativbeispiele herangezogen werden. Nach § 3 Abs. 1 des Entwurfs soll es die vorrangige Aufgabe der Versammlungsbehörde sein, Gefahren abzuwehren. Wer und was nach Ansicht der Landesregierung als Gefahr gilt, wird an mehreren Stellen in der Gesetzesbegründung deutlich. Als Beispiel für künftig auszusprechende Versammlungsverbote wird eine Demonstration an der Abbaukante des Braunkohletagebaus Garzweiler genannt. Solche Versammlungswege sollen demnächst einfach von vornherein verboten werden.

Auch Versammlungen, bei denen von Veranstalter:innen und Versammlungsleiter:innen „öffentliche Aufrufe zu Straftaten wie Nötigung und Widerstand gegen Polizeibeamte erfolgen“, sollen direkt verboten werden. Zwar gab es solche Aufrufe bisher in der Realität nicht, aber für den Zweck des Verbots unliebsamer Demonstrationen greift man dann einfach in die rhetorische Trickkiste: „Ein öffentlicher Aufruf in diesem Sinne liegt auch vor, wenn zur Begehung von Land- oder Hausfriedensbrüchen aufgerufen wird, als Ausdruck sog. ‚zivilen Ungehorsams‘, etwa gegen die von den Volksvertretungen beschlossenen Regelungen zur Energiepolitik und deren praktische Umsetzung in der Umgebung von Braunkohleabbaugebieten und Kraftwerken.“ (Gesetzesbegründung zu § 6 Abs. 1, der die Versammlungsleitung regelt) Diese unredliche Gleichsetzung von Zivilem Ungehorsam mit konkreten Straftatbeständen richtet sich ganz klar gegen die Strategie von Ende Gelände, Versammlungen anzumelden und zu demonstrieren und aus diesen Demonstrationen heraus Blockaden zu starten. Damit soll einem bestimmten Spektrum der Klimagerechtigkeitsbewegung die Demonstrationsfreiheit vollständig genommen werden. Mit allen Mitteln soll so das Eindringen in die Tagebaue verhindert werden, damit RWE weiter Dreck in die Luft blasen sowie Dörfer und Wälder zerstören kann. Dass bisher die meisten Verfahren im Zusammenhang mit Versammlungen von Ende Gelände im Sand verliefen, wird unterschlagen.

Auch Gruppen wie Extinction Rebellion, die Besetzung im Hambacher Forst oder die Blockaden im Dorf Lützerath könnten gemeint sein, wenn es um „Dauerdemonstrationen und die Blockierung von Verkehrswegen“ geht, die höhere Kosten verursachen und damit die Politik veranlasst werden soll, „demokratisch legitimierte und rechtlich verpflichtende Vorhaben wegen des unverhältnismäßigen Aufwands ihrer Durchführung aufzugeben.“ (Gesetzesbegründung zu § 13 Abs. 1) Dass es bei den „legitimierten“ Vorhaben oft um Pläne geht, die vor Jahrzehnten beschlossen wurden und heute auf Grund der Klimakatastrophe vermutlich nicht mehr durchsetzbar wären, wird totgeschwiegen. Hauptsache keine Veränderung und die Katastrophe kann weiter gehen.

Es ist bezeichnend, gegen wen hier argumentiert wird und gegen wen nicht. Wenn fast alle Beispiele aus der Gesetzesbegründung sich um antifaschistischen Protest oder Widerstand gegen die Klimakrise drehen, liegt nahe, dass aus Sicht der schwarz-gelben Landesregierung Nazis und Verschwörungsideolog:innen offensichtlich kein Problem für die Demokratie sein oder polizeilich zu bearbeitende ‚Gefahrenlagen‘ darstellen können. Der Feind steht links – daran wird mit diesem Gesetz kein Zweifel gelassen.

Erwünschte und unerwünschte Demonstrationen

Das Innenministerium hat hier anscheinend eine sehr klare Vorstellung davon, wer die Guten und die Bösen sind und versucht auch mit diesem Gesetz eine Unterscheidung zwischen „gesetzestreuen“ und widerständigen Menschen zu konstruieren.

Wenn die Polizei es schafft, eine Gefahrenlage zu konstruieren, darf sie künftig im Vorhinein die Daten der Ordner:innen anfordern und Menschen ablehnen, die ihnen ungeeignet erscheinen. Das beschränkt wiederum das Demonstrationsrecht von vielen, vermutlich auch Klimaaktivist:innen, die einmal polizeilich in Erscheinung getreten sind. Denn Verurteilungen spielen in Polizeidatenbanken keine Rolle, dort werden immer nur die Verdächtigungen gespeichert und für Gefahrenprognosen als Anhaltspunkte für zu erwartende Straftaten ausgewiesen. Gleichzeitig sind junge demonstrierende Menschen sehr wohl in Ordnung für die Regierung, solange sie schön brav sich an geltende Gesetze halten und diese nicht bewusst überschreiten.

So heißt es in der Begründung des Gesetzes zu § 6 Abs. 2: „Dabei ist indes auch zu beachten, dass in den letzten Jahren vermehrt Demonstrationen auch nicht volljähriger junger Menschen zu Entwicklungen auf dem Gebiet des Energieverbrauchs und des Ressourcen- und Klimaschutzes zu verzeichnen waren („Fridays for Future“, Demonstrationen gegen den Abbau des sog. Hambacher Forstes und des Braunkohlegebiets Garzweiler II im Juni 2019 in Aachen etc.). Es erscheint unter allgemeinen Aspekten gesellschaftlicher Diskurse sinnvoll, dass bei solchen – friedlichen und gesetzeskonformen – Versammlungen auch geeignete junge und nicht notwendig volljährige Menschen als Ordnerinnen und Ordner in die Pflicht genommen und gegenüber der Polizei benannt werden können, mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten. Gesellschaftspolitisches Engagement von Jugendlichen ist uneingeschränkt zu begrüßen, gerade und besonders im Zusammenhang mit friedlichen Versammlungen. Die jungen Menschen lernen so auch, Verantwortung für eine Organisation und Veranstaltung zu tragen; sie lernen, wie wichtig es ist, persönliches Engagement mit Struktur und Rechts- und Verfassungstreue zu verbinden.“ Das Versammlungsgesetz als staatlich genutztes Erziehungsmittel, interessant.

Einschüchternde Maler:innen und fatale Gleichsetzungen

Neu ist die Einführung eines Militanzverbotes, also des Verbots „uniformähnlicher Kleidungsstücke“, „paramilitärischen Auftretens“ oder Vergleichbarem, was „Gewaltbereitschaft vermittelt“ und „einschüchternd“ wirken könnte (§ 18). Praktisch lässt sich mit dem Gesetz nach Lust und Laune ähnliche Kleidung kriminalisieren, die oft aber auch zum Demonstrationsausdruck eingesetzt wird. Denn wer vor Ort über die „einschüchternde Wirkung“ entscheiden darf, ist natürlich die Polizei. Und wir wissen ja mittlerweile, wie schnell diese von Klimaaktivist:innen verängstigt wird.

Werfen wir auch hier einen Blick in die Gesetzesbegründung und lassen sie wirken: „Als Beispiel mag auf uniformierte rechts- oder linksextremistische Verbände in der Weimarer Republik wie die SA, die SS und ihre Untergliederungen verwiesen werden. In heutiger Zeit sind der sog. ‚Schwarze Block‘ linksradikaler Störer und Täter oder neonazistische Gruppierungen zu nennen. Das Ensemble aus gleichartiger – meist schwarzer, aber zunehmend auch andersfarbiger Kleidung, etwa auch gleichfarbiger Overalls (wie bei den Garzweiler-Demonstrationen im Sommer 2019), dazu bei den Rechtsextremisten Springerstiefel mit gleich-farbigen Schnürsenkeln, verbunden mit Marschtritt, Trommelschlagen und Führen schwarzer Fahnen, deren suggestiv-militante, aggressionsstimulierende und einschüchternde Wirkung sich geradezu aufdrängt, entspricht in hohem Maße dem Gefahrenbild, das der Gesetzgeber beim Erlass des Versammlungsgesetzes im Jahre 1953 vor Augen hatte.“

In eine Reihe gestellt werden hier also SA, SS, Schwarzer Block, Neonazis und Ende-Gelände-Demonstrant:innen in weißen Anzügen (‚Garzweiler‘). Welche Geisteshaltung das zeigt, hier nicht zu unterscheiden, ist so verstörend, dass dazu die Worte fehlen.

An all den aufgeführten Beispielen aus dem Gesetzesentwurf und den Begründungen wird deutlich, dass dieses Versammlungsgesetz ein nicht zu unterschätzender Angriff auf die Akteur:innen und Aktionsformen der Klimagerechtigkeitsbewegung ist. Wenn wir in einer lebenswerten Welt leben wollen, weiter für Klimagerechtigkeit kämpfen wollen, müssen wir uns auch gegen diese Einschränkung unserer Freiheit zu Wehr setzen, die sich einreiht in eine ganze Reihe von Gesetzesverschärfungen. Weiter geht’s!