Wie bereits allgemein bekannt sein dürfte, enthält das Versammlungsgesetz NRW auch ein Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot in verschärfter Form. Die Landesregierung hält auch an der Strafbarkeit der Vermummung und Schutzausrüstung fest und erhöht das Straßmaß sogar von einem auf bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe. Das Verbot selbst wird leider als selbstverständlich angenommen. Dabei gab es bereits zur Zeit der Einführung gute Argumente, die gegen ein Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot sprechen. Hinzu kommen neuere Entwicklungen, die gerade das Vermummungsverbot zu einem gefährlichen Werkzeug des Staates machen, Meinungsäußerungen und legitime Proteste zu unterdrücken. Wir denken daher, dass es an der Zeit ist, die beiden Verbote grundsätzlich in Frage zu stellen.Die Geschichte des Vermummungsverbots beginnt vor ca. 36 Jahren, am 28. Juni 1985: Der Bundestag beschließt mit den Stimmen der schwarz-gelben Regierungsmehrheit gegen SPD und Grüne den § 17a Versammlungsgesetz. Vermummung, die zuvor bei Versammlungen uneingeschränkt erlaubt war, wird zur Ordnungswidrigkeit. Der Beschluss folgte auf starke Kontroversen: SPD, Grüne und Teile der FDP sahen mit dem Verbot Demonstrierende unter Generalverdacht gestellt.
1989 erfolgte dann die Verschärfung des § 19a Versammlungsgesetz. Vermummung wurde zu einer Straftat, die mit Geld- und Freiheitsstrafe bedroht war. Die Verschärfung erfolgte diesmal mit deutlich weniger Debatten und unter dem Eindruck des Todes eines Polizisten im Zuge der Proteste an der Startbahn West. Ob ein verschärftes Vermummungsverbot die Schüsse auf den Polizisten verhindert hätten, darf natürlich mit Recht bezweifelt werden.
Im Folgenden wollen wir drei Argumente anführen, die für die vollständige Abschaffung des Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbots sprechen.
1. Die Möglichkeit zu einer anonymen Versammlungsteilnahme ist elementar wichtig
„Wer friedlich demonstrieren will, muss sich nicht unkenntlich machen.“ Und: „Wer sich nicht unkenntlich macht, hat nichts zu befürchten.“ Dies dürfte zumindest erwartet werden, wenn man dieses Argument konsequent zu Ende dächte. Inzwischen hat sich herauskristallisiert, was bereits 1985 befürchtet wurde: Das stimmt leider nicht, denn die bloße Teilnahme an Versammlungen kann durchaus bereits zu staatlicher Repression sowie zu beruflichen und privaten Konsequenzen führen.
Schon zum Zeitpunkt der Einführung des Vermummungsverbots begann parallel das Filmen von Versammlungen durch die Polizei. In Kombination mit dem Vermummungsverbot besteht grundsätzlich die Möglichkeit, alle Teilnehmenden einer Versammlung zu identifizieren, selbst wenn diese gegen keine Gesetze verstoßen haben. Für die Behörden gestaltet sich das recht einfach: Eine (frühere) Personalienabgabe mit Fotoaufnahme reicht aus, um Menschen auf Videobildern eindeutig wieder zu erkennen.
Nun könnte man denken, wer ja aber nichts getan hat, werde dafür ja trotzdem nicht bestraft. Das ist im Grunde erst einmal richtig. Hinzu kommt jedoch das Problem, dass Menschen, die sich legitim politisch betätigen, schnell in das Visier von Polizeibehörden und ggf. dem sog. Verfassungsschutz geraten. Das gilt besonders, wenn es für den Staat „unangenehme“ Politikfelder sind wie z.B. Klimabewegung oder Antifaschismus. Es trifft aber auch andere Gruppen wie beispielsweise Fußballfans (Gewalttäter Sport) und kann prinzipiell uns alle treffen. Zumal spätestens seit der Verschärfung des Polizeigesetzes in NRW deutlich geworden ist, dass die polizeilichen Befugnisse fortlaufend erweitert werden und zunehmend ausufern. Nur einige der möglichen Folgen: Normale Verkehrs- oder Personenkontrollen, die ohne ersichtlichen Grund eskalieren, Probleme bei der Ein- und Ausreise aus der BRD, Gefährderansprachen. Das sind alles keine Strafen im juristischen Sinn, aber die Folgen kommen für Betroffene einer Bestrafung häufig gleich.
Ein weiteres Problem: Nicht selten geraten Aktivist:innen in Interessenkonflikte, beispielsweise mit Arbeitgeber:innen. So wird es sicherlich nicht gerne gesehen werden, wenn sich Mitarbeiter:innen der Automobilindustrie in der Klimabewegung engagieren. Das geht heute schneller als je zuvor: Handyvideos landen innerhalb von Minuten im Internet.
Dass der Schutz der Identität auch in der Praxis notwendig ist, zeigt ein Beispiel aus Berlin: Dort demonstrierten Anfang des Jahres Fahrradkurier:innen vermummt gegen ihre Arbeitsbedingungen, um der Kündigung ihrer befristeten Verträge vorzubeugen.
Eine Identifizierung bei Versammlungen kann zudem auch bei antifaschistischem Engagement zum Problem werden. Es ist nichts neues, dass Antifaschist:innen von Neonazis mithilfe von Bildern von Versammlungen öffentlich geoutet werden und daraufhin in Angst vor Übergriffen leben müssen.
Diese Beispiele zeigen: Die Möglichkeit einer anonymen Teilnahme an Versammlungen dient dem Persönlichkeitsschutz und kann für viele Menschen die Teilnahme an Versammlungen erst ermöglichen. Denn wer bei Versammlungen zu „heiklen Themen“ Konsequenzen für sich selbst fürchten muss, ob von Polizei, Arbeitgeber:innen oder politischen Gegner:innen; wird sich scheuen, das eigene Versammlungsrecht in vollem Maße auszuüben und Zweifel lieber zu Hause bleiben.
2. Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbote kein Merkmal einer „wehrhaften Demokratie“
Anders als häufig angenommen, stellt ein Vermummungsverbot kein Merkmal einer sogenannten „wehrhaften Demokratie“ dar. Die meisten europäischen Staaten kennen kein Vermummungsverbot, ebenso wenig die USA. Vermummungsverbote sind im Gegenteil ein typisches Merkmal repressiver Polizeistaaten. Südafrika führte beispielsweise 1969 eines der ersten modernen Vermummungsverbote als Bestandteil seiner Apartheidpolitik ein. Auch aktuelle Beispiele untermauern dies: Die chinesische Regierung versuchte 2020 ein Vermummungsverbot für Hongkong zu erlassen. Im Anschluss wurde dies von Gerichten kassiert mit der Begründung, dass es sich um „koloniale Gesetzgebung“ handle.
An diesem Beispiel wird auch deutlich, wie wichtig es in stark autoritären Staaten ist, die eigene Identität verschleiern zu können: Freie Versammlungen werden hier durch Vermummung erst möglich.
Dasselbe gilt im Übrigen auch für das Schutzausrüstungsverbot. Es basiert auf der Annahme, dass es kein rechtswidriges und gewaltvolles Polizeihandeln gäbe, vor dem man sich schützen müsse. Abgesehen davon, dass dies ein Staat niemals wird leisten können, muss es das Recht von uns allen sein, die Folgen von Polizeigewalt zumindest abzumildern. Auch hier zeigen Beispiele wie Hongkong oder Myanmar, wie schnell das nötig werden kann, sobald ein demokratisches System ins Wanken gerät.
3. Maske oder Haube? Problematik im Rahmen der Coronapandemie.
Die Durchsetzung des Vermummungsverbots bei Versammlungen hat in Zeiten der Coronapandemie teilweise absurde Früchte getragen. Das Problem der Behörden war hier, infektionsschutzrechtliche Auflagen (Mund-Nasen-Schutz) bei Versammlungen in Einklang mit dem weiterhin geltenden Vermummungsverbot zu bringen. Dabei lässt sich resümieren, dass dieses Unterfangen grandios gescheitert ist. In NRW kam es bisweilen zu bizarren Situationen: So wurde im vergangenen Jahr in Düsseldorf für eine Kundgebung von Verschwörungstheoretiker:innen ein „Maskengebot“ zum Zwecke des Infektionsschutzes angeordnet. Anderseits wurde einer Gegenkundgebung, nur wenige Meter vom Versammlungsgelände entfernt, das Tragen eines Mund-Nasenschutzes unter Strafandrohung untersagt, da hierbei gegen das Vermummungsverbot verstoßen werde. Welche Schlussfolgerungen dürfen daraus gezogen werden? Werden Gegendemonstrant:innen pauschal unter Generalverdacht gestellt, vermummt Straftaten zu begehen? Und wiegt dies höher als das Recht auf Infektionsschutz und somit die körperliche Unversehrtheit aller Beteiligten? Dies zeigt gut auf, dass das Vermummungsverbot erhebliche Rechtsunsicherheit und Ungleichheiten schafft.
Hinzu kommt: Die Probleme mit dem Vermummungsverbot entstanden nicht erst während der Corona-Pandemie und werden daher mit ihrem Ende auch nicht verwinden. So sorgt beispielsweise die Definition, was eigentlich ein Vermummungsgegenstand im Sinne des Gesetzes ist, seit jeher für Unsicherheit. Reicht bereits ein sog. „Schlauchschal“ in Kombination mit einer Kapuze aus? Dürfen Sonnenbrillen auch im Winter getragen werden? Eine rechtssichere Antwort auf diese Fragen zu geben, ist nahezu unmöglich, da die Auslegung seitens der Behörden und Gerichte immer wieder schwankt. Dieses Problem hat sich nach Jahrzehnten der Anwendung nicht gebessert und wird sich auch in Zukunft wohl kaum beseitigen lassen. Die einzige Lösung kann daher nur die vollständige Abschaffung sein.
Fazit
Versammlungsfreiheit erfordert, dass alle Menschen ungehindert an Versammlungen teilnehmen können. Ist dies jedoch nicht anonym und gefahrlos möglich, werden Menschen effektiv an ihrer Teilnahme gehindert. Daher muss das im Versammlungsgesetz vorgesehene Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot fallen.