Zur Rechtswidrigkeit der Einkesselung und Polizeigewalt anlässlich der Demonstration vom 26.06.2021 in Düsseldorf


Rede auf der Demo am 28.08.2021 „Versammlungsgesetz NRW stoppen – Grundrechte erhalten!“ von Anna Busl, Rechtsanwältin aus Bonn und Mitglied im erweiterten Vorstand des republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV)

Hallo Freunde, Genossen, Kollegen!

Wenn über hundert Menschen die Versammlungsfreiheit entzogen wird

Wenn tausenden dadurch ihre Demonstration zum Landtag, zum gewählten Ort der Versammlung, verunmöglicht wird

Wenn dies damit gerechtfertigt wird, weil sich einzelne angeblich vermummt hätten oder höchstens Ordnungswidrigkeiten begangen hätten

Wenn dies damit gerechtfertigt wird, dass Transparente zu hoch gehalten worden sind, so dass man die dahinter Stehenden nicht mehr sieht

Wenn hunderte von Menschen ihrer Freiheit beraubt werden, indem sie eingeschlossen und umstellt werden

Wenn auf Demonstranten eingeprügelt wird, diesen ihre Transparente mit Gewalt weggerissen werden

Wenn die Polizei vor Ort nicht redet, sondern zuschlägt

Wenn die Aussage der Polizei vor Ort nur die ist: Beschweren sie sich halt später – die Antwort, die ich am häufigsten hörte am 26.06,

Wenn all dies durch ein Innenministerium gedeckt und verteidigt wird, ja sogar mit Unwahrheiten gerechtfertigt wird

Dann ist das nicht die Zukunft, sondern die Realität. Wie am 26. Juni.

Eine Realität, die wenig mit der bürgerlichen Verfassung, die noch weniger mit rechtsstaatlichem Handeln zu tun hat.

Eine Realität, die die Versammlung als ein Stück ungebändigter- unmittelbarer Demokratie längst ad acta gelegt haben will.

Eine Realität, die unter Versammlungsfreiheit versteht, sich unter Kameras und im Spalier von schwer bewaffneten Polizisten zu befinden hat und sich nur und ausschließlich unter dem identifizierenden Auge des Staates versammeln zu hat. Und sich im Zweifel eben aufzulösen hat – beschweren kann man sich ja später.

Eine Realität, die gerichtliche Entscheidungen offensichtlich nicht anerkennen will. Die von Verhältnismäßigkeit, von Abwägung und Entscheidungen im Zweifel zugunsten der Versammlungsfreiheit nichts hält.

Eine Realität, die viel damit zu tun hat, keine Freiheit vom Staat zu haben, sondern exzessive staatliche Eingriffe zu legitimieren.

Eine Realität, die zeigt:

Das, was das neue Versammlungsgesetz NRW formal festschreiben will, wird zu großen Teilen schon praktisch umgesetzt, durchgesetzt. Und mit dem neuen Versammlungsgesetz legitimiert und erweitert, indem genau dieses Handeln der Exekutive, staatliches Handeln gegen Versammlungen staatlich noch einmal mehr und noch exzessiver abgesichert werden soll.

Ja, dagegen müssen wir uns wehren!

Das Bündnis hat deswegen Klage eingereicht – gegen die Versagung der Demonstrationsfreiheit für hunderte am 26. Juni. Gegen die Einkesselung von hunderten. Gegen deren Identitätsfeststellung.

Was da passierte, war: Aufhebung der Versammlungsfreiheit. War: Die Versammlungsfreiheit mit Füßen zu treten. War: Aufhebung von Rechtsstaat. War: Freiheitsberaubung. War: Körperverletzung im Amt.

Ohne jeglichen rechtfertigenden Grund. Es bestand keinerlei konkrete, unmittelbare Gefahr für ein verfassungsrechtliches Rechtsgut, als die Polizei die Demonstration stürmte und angriff, zerschlug. Es bestand keinerlei rechtfertigender Grund, hunderte, noch dazu Minderjährige ihrer Freiheit zu berauben, über Stunden einzuschließen und nur unter Abgabe ihrer Personalien zu entlassen.

Aber eine Klage alleine reicht nicht.

Kein Gesetz fällt vom Himmel. Und kein Gesetz ist unabhängig von der gesellschaftlichen Realität, von  sozialen Verhältnissen, von den Klassenverhältnissen.

Wir brauchen uns nicht täuschen:

Dieser Staat will politisch missliebigen Protest verhindern. Mit der Aufrüstung der Polizei. Mit einer Reihe von Maßnahmen und Gesetzen der letzten Jahre, die den Rechtsstaat aushöhlen und den repressiven Staat aufrüsten. Mit neuen Polizeigesetzen. Mit immer mehr Rechten für immer mehr Polizeibeamte. Mit immer höheren, teils drakonischen Strafen für politisch mißliebigen Protest.

Verhindert werden soll, dass wir uns – staatsfrei – ohne staatliche Zensur –  die Straßen und Plätze nehmen.

Verhindert werden soll, die hiesigen Verhältnisse in Frage zu stellen.

Abgesichert aber werden soll eine Herrschaft, die keinen Protest, kein Stück unmittelbarer ungebändigter Demokratie vertragen will.

Abgesichert werden soll eine Ordnung der Mächtigen, eine kapitalistische Ordnung. Eine Ordnung, die Kriege führt und den Tod hinterlässt. Eine Ordnung, die eine Mauer um Europa baut und dadurch tausende im Mittelmeer sterben lässt. Eine Ordnung, die tausende verhungern lässt, aber wenige in ihrem Reichtum hält. Eine Ordnung, die dafür sorgt, dass an jedem Tag die Welt auf zig Teilen dieser unbewohnbar wird, verdörrt, verendet,  nur damit die Ordnung des Profits aufrecht erhalten wird. Eine Ordnung, in der die Armutsquote in dieser BRD einen historischen Wert erreicht hat – während 119 deutsche Milliardäre sich im „Krisen-Jahr“ 2020 weitere knapp 80 Mrd Euro angeeignet haben

Die wirkliche Gefahr kommt genau davon, dass als Recht und Gesetz benannt wird, was all dies absichern soll, was tatsächlich also nur Instrumentarium zur Sicherung von Herrschaft ist.

Davon, und ganz sicher nicht von Transparenten, nicht von Rauchwolken, und auch nicht von Sonnenbrillen geht die Gefahr aus.

Sorgen wir also für volle Straßen und Plätze, heute, morgen.

Für unser Recht!

Sorgen wir für unser Recht auf den Straßen und Plätzen.

Für unser Recht, gegen Krieg und Faschismus auf die Straßen zu gehen.

Für unser Recht, keine Mauern um Europa zu dulden, und keine Faschisten auf den Straßen und in den Ämtern.

Für unser Recht, das Eigentum von RWE und all der anderen Konzerne und was sie damit machen, zu hinterfragen.

Für unser Recht, zu demonstrieren, zu besetzen, zu streiken.

Für unser Recht, sich zu formieren und zu organisieren – ob im Blaumann, im Maleranzug. Ob mit schwarzer Kleidung. Oder mit roten Fahnen.

Sorgen wir dafür, dass die Verhältnisse sich ändern – im Sinne der Schwächeren!

Nehmen wir uns dafür die Straßen und Plätze. Sorgen wir für Widerstand – auf der Straße, auf den Plätzen, in den Fabriken, Universitäten und Schulen! Und in den Gerichten!

Und sorgen wir dadurch dafür, dass dieser Widerstand solche Gesetze verhindert!